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    Diene, liebe, gib, reinige dich, meditiere, verwirkliche



    Sukadev Bretz


    Inhalt:

    Swami Sivananda

    Swami Sivananda, in dessen Tradition ich stehe, hat den ganzheitlichen Yoga gelehrt. 
    Sein Leitsatz „Diene, liebe, gib, reinige dich, meditiere und verwirkliche“ ist so etwas wie ein sutra. Er ist die kürzest mögliche Form, den Yogaweg und seine Anwendung ins tägliche Leben zu erklären, mit dem Ziel, den ganzen Alltag zu spiritualisieren und die Persönlichkeit ganzheitlich rasch, effektiv und kontinuierlich zu entwickeln. 

    Swami Sivananda war kein Freund gelehrter Vorträge, obwohl er über sehr viel Wissen verfügte. Dafür hatte er die Gabe, höchste Weisheiten in sehr komprimierter Form, oft als kleine selbst komponierte Lieder, sehr eindrücklich zu vermitteln. Das folgende Lied sang er sehr oft, und es wird noch heute in seinem Ashram in Indien, in den zahllosen Sivananda Ashrams und Zentren weltweit wie auch in den Yoga Vidya Zentren in Deutschland gesungen:

    Serve, love, give, purify, meditate, realize.
    Be good, do good, be kind, be compassionate.
    Adapt, adjust, accommodate.
    Bear insult, bear injury, highest Yoga.
    Inquire “Who am I”, Know Thy Self and be free.
    Om Tat Sat Om Tat Sat Om Tat Sat Om
    Om Shanti Om Peace Om Shalom Om

    Deutsche Übersetzung, wie es in den Yoga Vidya Zentren gesungen wird:

    Diene, liebe, gib, reinige Dich, meditiere und verwirkliche.
    Sei gut, tue Gutes, sei mitfühlend.
    Passe dich an, stelle dich ein, sei flexibel.
    Trage Schmähung, trage Kränkung, höchstes Yoga.
    Frag’ „Wer bin ich?“, erkenn’ Dein Selbst, und sei frei,
    Om Tat Sat Om Tat Sat Om Tat Sat Om
    Om Shanti Om Frieden Om Shalom Om

    Diene

    Nicht nur Swami Sivananda, sondern viele Meister und Meisterinnen betonen, wie wichtig das Dienen, das selbstlose Helfen und Handeln, gerade zu Beginn des spirituellen Weges ist. Mit Dienen löst und überwindet man die Identifikationen und Ego-Verhaftungen, die zu den größten Hindernisse für echten spirituellen Fortschritt zählen. 

    Dienen, anderen zu helfen, ist klassischerweise der erste  Schritt auf dem spirituellen Weg. Heute beginnen die meisten Menschen im Westen den Yogaweg mit Asanas. Wenn sie dann von den ursprünglich körperlichen Motiven weitergehen zum spirituellen Aspekt, gilt: Sie sollten großen Wert auf „Dienen“ legen. Das beginnt mit kleinen Gefallen, die man anderen tut. Es geht weiter, dass man auf etwas verzichtet, was andere brauchen. Schließlich ist es eine Einstellung: Alles was ich tue, sei dem Wohl anderer gewidmet. Die innere Einstellung sollte dabei Dankbarkeit sein dafür, dass man anderen dienen kann. Swami Sivananda und auch mein Meister, Swami Vishnu-devananda, sagten gerne und oft, wenn sich jemand bei ihnen bedankte: „Danke für die Gelegenheit, Dir zu dienen“. 
    Dass Dienen als erster Schritt auf dem spirituellen Weg genannt wird, heißt jetzt nicht, dass wir es nach einer Weile weglassen können. „Erster Schritt“ heißt, es ist die Grundlage, die wir erst legen müssen, um von diesem festen Fundament aus zur Selbstverwirklichung voranzuschreiten. Das Interessante ist: Erst kommt das Dienen, dann die Liebe. Viele Menschen sagen: „Ich würde ja gerne etwas Gutes tun zum Wohl der Menschheit, aber irgendwie - ich fühle es noch nicht ausreichend vom Herzen, deshalb lasse ich es lieber sein und warte, bis die Liebe da ist, das Herz bereit ist.“ Und manche Menschen warten so bis zum Ende ihres Lebens, dass sich das richtige Gefühl auf eine magische, mystische Weise einstellt.... 

    Es ist anders. Wir müssen Gelegenheiten suchen, um zu helfen, und wir müssen sie aktiv ergreifen. Swami Sivananda hat gesagt: “Suche nach Gelegenheiten, anderen zu helfen! Diene aktiv!“ Wenn wir Gelegenheiten zum Dienen aktiv ergreifen, wachsen wir daran, und das dazugehörige Gefühl stellt sich mit der Zeit ein. Dabei sollten wir auch nicht zu schüchtern sein. Eine beliebte Aussage von Swami Sivananda war auch:“Blöke nicht wie ein Schaf,  brülle Om Om Om wie ein Löwe des Vedanta!“ – Habe Mut, traue dich, verstecke dich nicht, warte nicht, bis Dich jemand um Hilfe bittet. Diese Art von (falscher) Bescheidenheit und Schüchternheit hat auch etwas mit Egoismus zu tun und vor allem: Sie ist ein großes Hindernis, wenn wir wirklich die Befreiung, die Selbstverwirklichung, erreichen wollen. Dazu brauchen wir Mut. Dienen ist eine gute Gelegenheit, Schüchternheit zu überwinden und aktiv auf andere zuzugehen. 

    Liebe

    Der nächste Schritt ist die Liebe: Dienen muss mit Liebe verbunden werden. Wenn wir etwas nicht mit Liebe, aus ganzem Herzen, gern, freiwillig, liebevoll tun, mag es vom praktischen Standpunkt her ganz hilfreich und nützlich sein. Aber ohne Liebe erfüllt es aus spiritueller und höherer menschlicher Sicht nicht wirklich seinen Zweck. Wie Paulus in einem seiner Briefe sinngemäß sagt: „Und hätte ich der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich auch Glauben hätte, der Berge versetzen könnte, und wenn ich mit Engelszungen redete, dann wäre ich nur ein tönend’ Erz und eine klingende Schelle.“ (1. Kor. 3)

    Swami Vishnu-devananda, ein Schüler von Swami Sivananda, bei dem ich etwa zwölf Jahre lang gelernt habe und der die Sivananda Yoga Vedanta Zentren im Westen gegründet hat, hat einmal zu einer langjährigen Schülerin, die gerade ein neues Zentrum eröffnet und aufgebaut hatte, gesagt: „Arbeite nicht wie ein Esel. Diene mit Liebe.“ In Indien gehen Esel den ganzen Tag im Kreis, um Wasser für die Bewässerungsanlagen zu pumpen. Sie dienen den ganzen Tag, aber erreichen sie die Selbstverwirklichung? - Tun allein reicht nicht aus. Es muss mit dem Herzen, mit Liebe verbunden sein. Dann ist es nicht mehr „ein tönend’ Erz und eine klingende Schelle“, sondern etwas, das transformiert.

    Aber die Liebe erwächst ganz natürlich aus bewusstem Dienen. 

    Wenn man auf andere eingeht, seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche auch einmal etwas hintan stellt, bewirkt das ganz allmählich von selbst eine Öffnung des Herzens. Gerade im modernen Westen tun wir uns mit diesem Punkt oft schwer. Wir haben das Dienen verstaatlicht. Wir sind so sehr rational ausgerichtet – Liebe ist etwas, was wir meist nur mit einer partnerschaftlichen Beziehung oder Eltern-Kind-Beziehung assoziieren. Und selbst wenn wir Liebe entwickeln wollen, wissen wir nicht, wie wir das machen sollen. Aber Liebe kann ein Gefühl sein, das einen den ganzen Tag durchströmt und mit den Herzen aller Menschen verbindet, mit denen man zu tun hat. Die Übung des bewussten Eingehens auf andere ist dazu sehr hilfreich. 

    Gib

    Wenn wir bewusst dienen und allmählich unser Herz durch Liebe weit wird, dann geben wir immer mehr von uns. Dienen als solches bedeutet natürlich, etwas zu geben: Man gibt seine Zeit, seine Energie in Form von Arbeit, sein Verständnis. Und gerade Zeit ist etwas, was vielen Menschen helfen kann. Allein, jemandem nur aufmerksam zuzuhören, seine/ihre Anliegen und sein/ihr Leben in diesem Moment ernst zu nehmen, das ist schon sehr, sehr viel. 

    Liebe will sich ausdrücken. Es nützt relativ wenig, Liebe nur zu empfinden. Liebe will weitergegeben werden. Liebe muss aktiv sein, sich zeigen, offenbaren: In kleinen Gesten, in Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, in kleinen Geschenken, manchmal auch in Worten und vor allem dadurch, wie man sich gibt, zum Beispiel, in dem man in seiner ganzen Haltung Freundlichkeit, Wohlwollen, Geduld, Verständnis, auch Fröhlichkeit, Freude und Gelassenheit ausstrahlt.

    Viel auf dem spirituellen Weg hat meinem Verständnis nach mit Geben zu tun. Einerseits üben wir asanas, pranayama und Meditation natürlich, um uns gesund zu halten, unseren Körper und Geist, die unsere Instrumente zur Erreichung der Selbstverwirklichung sind, zu pflegen, damit sie uns gut und sicher zu diesem Ziel bringen können. Andererseits üben wir sie gleichzeitig auch für alle anderen: Spiritualität in diesem Sinn heißt, nichts zurückzuhalten, alles mit anderen zu teilen, was man hat und was man zu geben hat. Und – bei aller yogischen Bescheidenheit - wenn man regelmäßig praktiziert, hat man eine Menge zu geben: an Ausstrahlung, an Ruhe, an praktischen Hilfen für den Alltag, an Vorbild, an Energie, an Liebe, an positiver Lebenseinstellung, an Leichtigkeit, an Aufmerksamkeit, an Friedfertigkeit, an Toleranz, an Wissen. Und damit sollten wir nicht geizig sein. Wir können und sollen großzügig unsere Talente und Fähigkeiten entfalten, zum Nutzen und Wohl anderer Menschen und der Gesellschaft. Das soll nun nicht unser Ego aufblähen, im Gegenteil. Bei all dem sollten wir uns immer sehr bewusst machen: „Nicht ich bin es wirklich, der handelt, sondern es ist Gott oder der Meister oder das Absolute oder das kosmische universelle Prinzip, das durch mich hindurch wirkt. Durch Dienen und Lieben reinige ich Körper, Geist, Psyche, so dass sie durchlässig werden können für das Göttliche, das nun durch mich hindurch fließen kann. Ich werde mehr und mehr zum Instrument, zum Kanal, zum Wohl und zum Segen aller.“

    Mit dieser Einstellung brauchen wir auch keine Angst zu haben, „auszubrennen“ oder „ausgesaugt“ zu werden. Wir brauchen nicht – wie es manche empfehlen – unsere Energiezentren bewusst verschließen, um keine Energien an „Energiesauger“ in unserer Umgebung zu verlieren. Im Gegenteil: Als Yoga Praktizierende kennen wir die Mittel und Methoden, uns immer wieder neu aufzuladen. Da können wir ruhig großzügig sein und anderen etwas Energie abgeben. Wenn man die richtige Einstellung hat, fließt Energie ununterbrochen nach, und wir geben sie mit offenem Herzen und Liebe weiter. Wir können sogar gerade den Menschen, die uns scheinbar „aussaugen“, bewusst Licht und Liebe schicken. Wir können dabei spüren oder visualisieren, wie wir nach oben offen sind und ein Strom kosmischen Lichtes und allumfassender Liebe von oben in uns hinein und beständig durch uns hindurch strömt.

    Geben heißt also, dass man etwas von sich gibt. Es heißt auch, dass man bereit ist, etwas aufzugeben. Es heißt zum Beispiel auch, es sich nicht zu gemütlich zu machen. Man kann sagen, es gibt auch so etwas wie ein Spießbürger-Yogatum. Man richtet sich seine Spiritualität und seinen Lebensstil gemütlich ein. Alles muss seinen geregelten Ablauf haben. Wehe, es passiert mal etwas außer der Reihe. Am Anfang des Weges ist es zunächst einmal schwierig, seine tägliche Praxis in den Alltag zu integrieren. Aber wenn man diese tamasige (d.h. träge) Phase erst einmal überwunden wird, kommt eine gewisse Routine auf und alles wird einfach und schön. Es ist einfach schön, jeden Morgen mit Meditation zu beginnen, jeden Tag asanas und pranayama zu üben. Eine solche tägliche Routine, eine regelmäßige Selbstdisziplin ist etwas Gutes. Statt morgens erst mal Kaffee zu trinken und die Morgenzeitung zu studieren, meditiert man und trinkt Kräutertee. Abends geht man statt ins Fitness-Studio oder zum Stammtisch in die Yogastunde oder übt für sich selbst. Man hat seine regelmäßige Ernährung, weiß, was einem schmeckt und gut tut, weiß, wie man seine kleinen Bedürfnisse und Bedürfnisschen befriedigt und so kann man sich recht gemütlich und bequem einrichten. Und bis zu einem gewissen Grad ist das schön. Aber was folgt dann?  - Stillstand. Und wie kommt man aus dem Stillstand heraus? Entweder, indem man sich selbst einen Ruck gibt, oder durch den Guru oder durch das Karma. Es ist eine der größten Aufgaben des Lehrers, das Leben des Schülers nicht zu gemütlich werden zu lassen – friedvoll ja, aber nicht gemütlich. Denn dann gibt es keinen oder kaum noch Fortschritt. 

    Wenn wir erkennen und erfahren wollen: Meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit jetzt und jederzeit, dann müssen wir das auch in jeder Situation unter Beweis stellen. Und das kann man nur, wenn man sich mit Herausforderungen konfrontiert. Man muss auch mal bereit sein, bis an die Grenzen zu gehen, wenn die Situation es erfordert. Manchmal ist es notwendig, nicht nur gemütlich seine Arbeit zu machen, seine so-und-soviel Stunden und dann zu sagen: „Okay, Gott, das war’s“ -, sondern auch einmal wirklich alles zu geben. Das sind dann manchmal die schönsten Erlebnisse und Erfahrungen.

    Ein Beispiel, wie mein Lehrer, Swami Vishnu-devananda, das praktisch lehrte. 1983 war ich Mitarbeiter im Sivananda Yoga Zentrum München. Swami Vishnu gab uns im Mai den Auftrag, für September ein großes Festival, das Global Village Peace Festival in Berlin zu organisieren. Wir waren nur wenige, hatten das Yoga-Zentrum zu leiten und zu betreiben, was schon genügend Arbeit war. Finanzielle Mittel waren keine vorhanden, und nun sollten wir in Berlin ein Festival für Tausende von Menschen organisieren, dazu noch alle möglichen exotischen Veranstaltungen und einen Friedensflug von Swami Vishnu über die Berliner Mauer... Nato-Generäle der damaligen Initiative „Generals for Peace“, indische Meister, Yogalehrer aus aller Welt,  jede Menge Medien mussten eingeladen werden, es war eine Riesensache. Das für mich damals Erstaunlichste war: Es hat tatsächlich geklappt. Objektiv gesehen, konnte es nicht klappen - kein Geld, kein Know-how, keine Menschen. Aber immer kam irgendwie zur rechten Zeit jemand, der mitgeholfen, gespendet hat. Während der Hauptphase haben wir nachts nur zwei, drei Stunden geschlafen, ansonsten waren wir ständig mit irgend etwas beschäftigt. Das Eigenartige war: Es ging uns sehr gut dabei. Man hat nicht mehr darüber nachgedacht: „was brauche ich, was brauche ich nicht, wie geht es mir, wie geht es mir nicht“. Da war ein Gefühl der Einheit, der Verbundenheit, des Miteinander. Das Wichtigste, was ich daraus gelernt und mitgenommen habe war: Wenn man selbstlos mit Liebe gibt, ist man der Einheit am nächsten, hat nahezu grenzenlose Energie.  Diese Energie hat vermutlich auch dazu beigetragen, dass heute Berlin eine Stadt mit vielen Yogaschulen und Yoga Ausbildungen ist.

    Manchmal ist es die Aufgabe des Lehrers, uns aus dem gemütlichen Leben herauszureißen. Wenn man keinen direkten Lehrer hat, dann geschieht es über das Schicksal, über das Karma. Als solches sollten wir es auch willkommen heißen, annehmen, und nicht denken: „Was für eine Ironie des Schicksals. Endlich ist es mir gelungen, alles so schön in Ordnung zu bringen. Ich habe eine schöne Wohnung, mein Tagesablauf ist gut und ruhig. Ich habe meine Yogaschüler, die mit meinen Kursen zufrieden sind. Mein Mann bzw. meine Frau haben sich mit meiner Yogapraxis abgefunden und selbst die Kinder finden es irgendwie gut. Und jetzt das....“. Man sollte man sich nicht dagegen wehren, wenn Gott plötzlich etwas anderes mit einem vorhat. Es heißt nicht umsonst, dass unser Karma sich beschleunigt, wenn wir spirituelle Praktiken machen. Die meisten freuen sich, wenn sie hören, dass sich da etwas beschleunigt. Aber man muss sich im klaren sein darüber, dass dann auch mehr passiert und dass das nicht immer nur bequem und angenehm ist. Und wenn man nicht das Glück hat, dass das Schicksal oder der Lehrer einem solche „unbequemen“ Ereignisse schickt, dann muss man von selbst wieder mal seine Praxis intensivieren, neue Möglichkeiten zum Dienen suchen, etwas mehr geben, auch mal etwas lieb Gewonnenes aufgeben...

    Reinige 

    Im sechsten Kapitel der Bhagavad Gita sagt Krishna: „Am Anfang des spirituellen Weges ist Handeln das Hauptmittel... Später, wenn man eine gewisse Ruhe des Geistes erlangt hat, ist die Stille, die Meditation, das Hauptmittel.“ Es ist natürlich von Anfang an notwendig, täglich seine spirituelle Praxis zu machen - asanas, pranayama und Meditation – denn sonst trägt auch das Handeln im täglichen Leben nicht zu einer Transformation bei oder zumindest nur einseitig oder weniger wirkungsvoll. Ich persönlich bin der festen Überzeugung, ohne spirituelle Praktiken ist es nahezu unmöglich, sein tägliches Leben wirklich zu spiritualisieren. Denn die Praxis gibt einem die nötige Kraft und Energie, an sich zu arbeiten und zu den richtigen Einsichten zu gelangen. Aber was am Anfang den spirituellen Fortschritt bestimmt, ist nicht so sehr die Qualität der Meditation oder die Perfektion in den asanas, sondern vielmehr die Art und Weise, wie man im täglichen Leben handelt. Wie man seine Arbeit erledigt, wie man auf Kritik reagiert, sich durchsetzt, wenn Hindernisse auftreten, wie man jemandem Mitgefühl zeigt, wenn er in Not ist, all das bestimmt den evolutionären Fortschritt. 

    Der ganze spirituelle Weg ist Reinigung auf verschiedenen Ebenen: 

    Meditation ist anfangs in der Hauptsache Reinigung. Manche haben dabei schöne Erfahrungen, manche haben Reinigungserfahrungen wie Hitze oder Zittern, manche reinigen auf der geistigen Ebene, in dem der ganze Tag nochmals Revue passiert und verarbeitet wird oder die Pläne des kommenden Tages. 

    Wir reinigen unseren Körper und Astralkörper – sei es tatsächlich wörtlich, indem wir die Kriyas, die yogischen Reinigungsübungen, durchführen, sei es durch vegetarische gesunde Ernährung, sei es durch die asanas und pranayama. 

    Durch selbstloses Handeln, ohne auf Vorteile oder Ergebnisse bedacht zu sein, reinigen wir unser Ego, überwinden die tief verwurzelten Neigungen zu Identifikation, Urteilen, Be-/Verurteilen. 

    Wir reinigen schrittweise unseren Charakter – arbeiten z.B. mit Raja Yoga Methoden daran, hinderliche Eigenschaften wie Ärger, Abneigung, Neid, etwas unbedingt haben zu wollen usw., abzulegen beziehungsweise sie in ihr Gegenteil umzuwandeln oder sie in reine Energie aufzulösen, zu sublimieren. 

    Und wir reinigen und verwandeln unseren Charakter, indem wir uns bemühen, uns mehr und mehr in der Einhaltung und Umsetzung der yamas und niyamas zu vervollkommnen. 

    Das alles trägt dazu bei, die Menge an tamas (Trägheit, Grobstofflichkeit) in uns allmählich in rajas (Aktivität) und von rajas mehr und mehr in sattwa (Reinheit, Licht, Wissen, Freude) umzuwandeln. 

    Je mehr sattwa da ist, desto einfacher wird es uns fallen, mehr und selbstlos für andere da zu sein. Viele Wünsche fallen von selbst weg, vieles ist plötzlich gar nicht mehr wichtig oder erstrebenswert. Man erfährt mehr und mehr die große, reine, anhaltende Freude, die aus selbstlosem Dienen und Handeln erwächst. So wird das Ganze nach einiger Zeit der kontinuierlichen Praxis zu einer Art Perpetuum mobile oder auch zu einem „Engelskreis“ – im Gegensatz zum „Teufelskreis“, der uns immer tiefer hinabzieht in Ärger, Wut, Depression, Ausweglosigkeit, Traurigkeit, Sinnlosigkeit. „Engelskreis“ heißt: Je mehr wir praktizieren, um so mehr reinigen wir uns und um so mehr Energie haben wir und um so mehr Liebe und Freude entfaltet sich. Wenn wir mehr Freude, Liebe und Energie empfinden, haben wir die Inspiration, anderen zu helfen und zu dienen. Und wenn wir anderen mehr dienen und helfen, werden die Yoga Praktiken wirkungsvoller. Dies gibt uns wieder mehr Energie usw. usw.

    Meditiere

    In dem Maße, in dem wir in serve, love, give, purify fortschreiten, vertieft sich die Meditation. Erst wenn die Persönlichkeit transformiert ist, prana sich durch die Übung erhöht hat und als spirituelle Energie zur Verfügung steht, erst dann ist der Geist wirklich für die Meditation bereit. Trotzdem ist die Meditation, wie oben erwähnt, schon von Anfang an die wichtigste spirituelle Praxis, wenn sie auch zunächst eher reinigend wirkt. Man sollte sich deshalb auch nicht zu viele Sorgen machen, ob man gut oder schlecht, richtig oder falsch meditiert. Wir reinigen uns im täglichen Leben sowie mittels unserer Praktiken. Irgendwann kommt dann die Meditation im eigentlichen Sinn und darauf folgt realise, die Verwirklichung.

    Wenn wir dienen und lieben gelernt haben und unser System rein und durchlässig wird, dann wird auch die Meditation sehr tief und erfüllend. Das Göttliche kann in uns einströmen, der Geist ist nicht durch zahllose Wünsche abgelenkt und wird nicht ziellos in alle Richtungen gezogen, sondern wir ruhen in uns, in Gott. Und so fällt es ganz leicht, in der Meditation immer mehr und immer tiefer diese Erfahrung von sat-chid-ananda, reinem Sein, reinem Wissen, Bewusstheit und reiner Wonne und Liebe, zu machen. Und je mehr wir diese Erfahrung machen, desto mehr strahlt das wieder in den Alltag aus. 

    Und ganz natürlich entwickelt es sich auch, dass wir nicht nur in einem meditativen Zustand sind, wenn wir uns morgens oder abends hinsetzen und meditieren. Vielmehr wird das ganze Leben, jede Tätigkeit, jeder Gedanke, zur Meditation oder zur Verehrung Gottes. Wenn wir so jede Handlung mit voller Konzentration machen, so gut wir können und dabei nicht an sie anhaften, im Bewusstsein, Diener oder Kanal des Göttlichen zu sein, dann werden wir auch bei der Arbeit und im Umgang mit anderen Menschen nicht das Gefühl haben, Energie zu verlieren und uns zu verausgaben. Vielmehr werden wir sowohl aus unserer täglichen Arbeit als auch aus unserer spirituellen Praxis mehr Kraft schöpfen, konzentrierter, effektiver, geschickter handeln können. Damit können wir anderen Menschen wieder mehr dienen, was uns letztlich selbst auf unserem Weg weiter bringt. 

    Verwirkliche

    Manchmal, wenn man die Schriften oder Biografien über das Leben von großen Meistern und Heiligen liest, neigt man dazu, die Selbstverwirklichung mental in große Ferne zu verschieben - etwas, was zwar erstrebenswert und sicher auch schön wäre, was aber ganz nebulös irgendwo in unerreichbarer Zukunft liegt. Diese Einstellung sollten wir bewusst verändern. Es gibt kleine und große Verwirklichungen. Die kleinen geschehen mehr oder weniger häufig, während man den Weg geht und sie bringen einen schrittweise näher zum großen Ziel, zur großen Verwirklichung. 

    Gott, die Einheit mit allem zu verwirklichen, heißt zunächst nicht notwendigerweise, sofort im reinen Einheitsbewusstsein aufzugehen. Gott im anderen zu sehen kann dazu führen, dass wir mit größerem Verständnis auf ihn zugehen, dass wir geduldiger, toleranter, liebevoller mit ihm umgehen - und auch mit uns selbst, denn das Göttliche ist nicht nur im anderen, sondern auch in uns, wenn es wirklich absolut und unteilbar sein soll. So kommen wir wieder zum Ausgangspunkt, zum Dienen – Lieben – Geben zurück und der Kreis schließt sich. Und ich meine, es ist nicht nur ein Kreis, sondern eine aufwärts gerichtete Spirale, die uns schließlich zur großen, vollen Selbstverwirklichung führen wird. 

    Die zweite Zeile dieses Liedes von Swami Sivananda:

    Be good, do good, be kind, be compassionate
    Sei gut, tue Gutes, sei freundlich, sei mitfühlend

    Sei gut, tue Gutes.

    Indem man Güte in sich entwickelt, folgt als nächstes, Gutes zu tun. So wie eine Rose, die duftet und diesen Duft weithin verströmt. Aus innerer Güte und Liebe heraus handelt man auch gut. 

    Sei freundlich, sei mitfühlend. 

    Die Grundeinstellung eines spirituellen Aspiranten sollte freundlich und einfühlsam sein. Das heißt nicht, dass man sich alles gefallen lassen muss. Und es heißt auch nicht, sich in die Opferrolle drängen zu lassen. 

    Mitfühlen kann durchaus auch einmal Strenge beinhalten. Zum Beispiel muss man Kindern auch mal Grenzen aufzeigen. Manchmal tut man einem anderen einen Gefallen, indem man ihm sagt: „Nein, deine Arbeit übernehme ich heute nicht.“ Aber man reagiert nicht aus Verletztheit oder Gereiztheit oder Böswilligkeit, sondern aus Mitgefühl und Liebe. Man kann sogar aus Liebe zu jemandem aufhören, ihn zu umsorgen, um ihm eine Chance zu geben, selbst an seinen Aufgaben zu wachsen und sich zu entwickeln. 

    Ein großes Beispiel für Handeln ohne Gewalt, mit Liebe und Verständnis selbst für die Menschen, gegen die man sich durchsetzen muss, ist Mahatma Gandhi. Er wollte die Unabhängigkeit für Indien, aber nicht mit Hass und nicht mit Bomben, sondern mit gewaltlosem Widerstand und mit Liebe. Auch Jesus sagt: „Liebet, die euch hassen, und tut Gutes denen, die euch verfolgen.“ 

    Die dritte Zeile:
    Adapt, adjust, accommodate - Passe dich an, stelle dich ein, sei flexibel

    Eine wichtige Voraussetzung für die spirituelle Entwicklung liegt für Swami Sivananda auch in der Fähigkeit, sich an die Umstände anzupassen, sich auf andere Menschen und Situationen einzustellen. Das ist vielleicht so etwas wie die Kehrseite der Medaille des aktiven Dienens: passiv dienen, indem man anderen Menschen nicht lästig fällt und unnötiges Aufhebens macht, indem man höflich und zurückhaltend ist in seinen persönlichen Ansprüchen. 

    Wir sind es gewohnt, zu erwarten, dass äußere Bedingungen sich uns anpassen. Das fängt schon damit an, dass wir uns zum Beispiel nur bei einer Raumtemperatur von sagen wir mal 21 Grad wohlfühlen. Bei 23 Grad muss die Klimaanlage eingeschaltet werden, bei 18 Grad die Heizung. In Wirklichkeit kann der menschliche Körper sich sehr gut in diesem Temperaturbereich anpassen. Das kann man sich bewusst machen und dann lernt der Körper diese Anpassung. Natürlich ist das nur ein einfaches Beispiel. Aber aus diesem Wunsch, die Außenwelt ständig manipulieren und den eigenen (angeblichen) Bedürfnissen anpassen zu wollen, resultiert viel Unruhe und Zerstreuung. Hat man das einmal bis zu einem gewissen Grad überwunden, ist es eine große Quelle des Friedens. 

    Ein anderes Beispiel ist die weit verbreitete Alles-oder-Nichts-Philosophie: Entweder alles klappt oder es hat eh keinen Sinn. Entweder ich kann es vollkommen oder ich lasse es besser ganz sein. Entweder der Mensch mag mich wirklich und dann muss er mich in all meinen Aspekten annehmen und in jedem Moment und immer oder ich will nichts mit ihm zu tun haben. – Das Leben ist nicht nur schwarz/weiß, gut/schlecht, hell/dunkel. Aus jeder Situation das Bestmögliche zum Nutzen aller zu machen, ist die Kunst yogisch geschickten Handelns. Das erreicht man durch innere Flexibilität.

    Natürlich gibt es auch komplexere Probleme, gerade auch im emotionalen Bereich. Da kann man sich nicht sofort darauf einstellen, sondern muss sich Zeit geben. Und manchmal stellt man sich auf eine Situation am besten ein, indem man sie mutig verändert oder auch gegenüber anderen sich durchzusetzen lernt. Im allgemeinen ist es jedoch hilfreich, zu lernen, sich auf verschiedene Situationen und Menschen einzustellen. Dies ist ja in unserer schnelllebigen Gesellschaft noch viel notwendiger ist als in früheren Zeiten. Menschen sind nicht gleich, die Erfordernisse sind nicht gleich. Man muss mal das eine machen, mal das andere. Sich so auf verschiedene Menschen und Situationen einzustimmen ist letztlich auch etwas Schönes. Die Vorstellung, dass das alles – das ganze Leben, die eigene Persönlichkeit – eigentlich ein interessantes, vorübergehendes Schauspiel ist, aus dem man viel lernen kann, kann einem dabei viel helfen. 

    4. Zeile:
    Trage Schmähung, trage Kränkung, höchstes Yoga

    Das ist so etwas wie der Lackmustext für unseren Geist. Färbt unser Geist sich vor Ärger und Wut knallrot oder deprimiert blau oder bleibt er ausgewogen und im Gleichgewicht, wenn uns jemand kritisiert oder etwas nicht so läuft, wie wir es gerne hätten? Daran können wir erkennen, wie erfolgreich unser sadhana, unsere spirituelle Praxis, tatsächlich ist. 

    Sehen wir jede Kritik sofort als Bedrohung, auf die wir nur mit Flucht oder Kampf reagieren können? Oder nehmen wir die Kritik an, analysieren sie und lernen etwas daraus? Ändern wir etwas in unserem Verhalten, wenn wir erkennen, der andere hat vielleicht ganz oder teilweise recht? Bleiben wir ruhig und gelassen, wenn wir merken, das Ganze hat eigentlich keine Berechtigung, sondern ist nur ein Problem des anderen, das sich in seiner Psyche abspielt oder seiner Erwartungshaltung? Wie reagieren wir, wenn wir feststellen: Ich tue zwar mein Bestes, aber ich kann den Erwartungen des anderen nicht gerecht werden? Fühlen wir dann wirklich: Meine wahre Natur ist sat-chid-ananda, Sein, Wissen und Glückseligkeit? An diesen Dingen können wir ablesen, ob wir etwas erreicht haben in unserer Entwicklung. 

    5. Zeile:
    Frage “Wer bin ich”? Erkenne Dein Selbst, und sei frei.

    Und so können wir fragen: „Wer bin ich?“, uns selbst, unser wahres Selbst, erkennen als sat-chid-ananda und frei sein. 

    Freiheit ist nicht, nur das zu tun und zu lassen, was einem gerade beliebt. Freiheit ist auch nicht, rücksichtslos gegenüber anderen Menschen zu sein. 

    Freiheit bedeutet, frei sein von eigenen Zwängen, frei von eigenen Konditionierungen, frei von Reaktionsschemata. Frei sein heißt, geschickt zu handeln und leben in der Welt und dabei innerlich nicht gebunden zu sein. Freiheit heißt letztlich, sich eins zu fühlen mit dem Einen. 
     
     

    Sukadev Volker Bretz

    Yoga Vidya e.V.

 

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